16.03.2020 Für Ihre Arbeit

Das Alter ist keine Grenze

Die Österreicherin Klaudia Bachinger hatte vor drei Jahren die Idee, WisR (sprich „weiser“) zu gründen – eine Plattform auf der Rentner Jobs finden können. Ihre Vision ist eine Welt, in der Alter uns nicht definiert und nicht darüber entscheidet, was wir noch tun können und was nicht. Und ihre Mission ist es, verschiedene Generationen dazu zu bringen, gemeinsam zu arbeiten. Wir trafen Klaudia Bachinger zum Interview.

  • Warum haben Sie WisR gegründet?

Auf der einen Seite weiß ich, dass viele Menschen stark darunter leiden, wenn sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden und von hundert auf null herunterfahren müssen. Das habe ich hautnah bei meiner Oma mitbekommen. Für sie war das Arbeitsleben einfach zu abrupt zu Ende. Viele freuen sich zwar erstmal auf das wohlverdiente Ende der Erwerbstätigkeit. Doch dann merken sie schnell, dass ihnen eine Aufgabe, regelmäßige soziale Kontakte und auch eine Herausforderung oder die Möglichkeit, ein Problem zu lösen oder etwas Sinnvolles zu machen, fehlen.

Auf der anderen Seite verändert sich der Arbeitsmarkt extrem. Die Babyboomer gehen langsam in Rente und hinterlassen ein riesen Loch. Das Loch kann nur über drei Möglichkeiten gefüllt werden: Noch stärkere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, Migration von ausländischen Fachkräften oder das Reaktivieren des Potenzials der älteren Bevölkerung. Und da setzen wir an. Bereits jetzt sind in Deutschland 32 Prozent der Bevölkerung im Ruhestand, das sind über 25 Millionen Menschen.

  • Was bedeutet das konkret für Unternehmen?

Die Gefahr, dass Expertenwissen und Lebenserfahrung verloren gehen, ist massiv. Ich glaube, den meisten Unternehmen ist das gar nicht bewusst. In Deutschland, das als Ingenieursland gilt, gehen in den nächsten zehn Jahren beispielsweise 700 000 Ingenieure in Rente – das sind mehr als 44 Prozent. In der Verwaltung sehen die Zahlen ähnlich aus.

  • Wie können Unternehmen darauf reagieren?

Unternehmen können Angestellten die Zeit geben, ihr Wissen fundiert zu dokumentieren und weiterzugeben, bevor sie aus dem Unternehmen ausscheiden. Das klingt trivial – ist es aber nicht: Man muss dem Thema Wichtigkeit einräumen. Niemand schreibt so nebenbei sein Wissen für seine Nachfolger auf. Unternehmen könnten auch flexiblere Arbeitsmodelle schaffen, damit die Menschen nicht von heute auf morgen aufhören müssen, sondern – wenn sie das wünschen – flexibel weiterarbeiten können. Auch Jobsharing-Modelle sind denkbar, da könnte sich eine jüngere Person mit einer älteren, erfahrenen Person eine Position teilen.

Wissensmanagement und Wissenssicherung brauchen Zeit.

Klaudia Bachinger, WisR Gründerin.

  • Studien belegen, dass bunt gemischte Teams erfolgreicher sind. Wieso nehmen Unternehmen die Vorteile von Diversity nicht viel ernster?

Das verstehe ich auch nicht und frage mich, warum Diversität immer nur ein „Nice-To-Have“ ist. Diversität ist ganz klar ein Wettbewerbsvorteil. Unsere Erfahrung zeigt, dass es schwierig ist, bereits vorhandene Strukturen aufzubrechen. Unternehmen insgesamt und Recruiter im Besonderen müssen umdenken. Wenn das Gründerteam eines Start-ups aus jungen Männern besteht, stellen sie tendenziell junge Männer ein, weil man sich unterbewusst mit seinesgleichen umgeben will. Dann wird es immer schwieriger, das Team diverser zu gestalten, etwa Frauen ins Team zu holen – oder eben ältere Mitarbeiter.

  • Grundsätzlich haben es ältere Menschen schwerer auf dem Arbeitsmarkt. Herrscht dort ein Jugendwahn?

Wir haben beobachtet, dass Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt schon ab etwa 45 beginnt. Ab diesem Alter wird es schwer, auf herkömmlichen Wegen, also durch eine Bewerbung einen Job zu bekommen. Das liegt unter anderem daran, dass die Mitarbeiter in den Personalabteilungen nicht für Bewerber aus unterschiedlichen Generationen sensibilisiert sind. So braucht es beispielsweise je nach Zielgruppe eine andere Ansprache in den Stellenausschreibungen. Auch Führungskräfte sind oftmals nicht dahingehend geschult, wie sie verschiedene Generationen führen müssen.

Wenn ein 35-jährige eine 60-jährige Person leiten muss, verlangt es sehr viel Sensibilität, Verständnis und Empathie – das merke ich auch an mir selbst.

Klaudia Bachinger. WisR Gründerin

  • Inwiefern?

In meinem Team arbeiten Menschen, die 59 und 61 Jahre alt sind. Es erfordert sehr viel Zuhören und Einfühlungsvermögen – auf beiden Seiten. Da muss manch einer richtig lernen. Es gibt eine sehr interessante dänische Studie, die intergenerationellen Austausch untersucht hat. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass nur drei Prozent der Millenials mit Menschen über 55 sprechen – Familienmitglieder ausgenommen. Und dieser fehlende Dialog bewirkt, dass es viele Vorurteile in beide Richtungen gibt.

  • Aber es lohnt sich, diesen Lernprozess durchzumachen oder?

Definitiv. Im Endeffekt profitieren alle. Ich erzähle als Beispiel gerne von Richard. Richard ist 71, ehemaliger Verbundstechniker und hat einen Job bei einem Start-up gefunden. Dort hilft er, Roboter zu bauen. Richard ist so motiviert. Man kann richtig sehen, wie viel Spaß es ihm macht, dass er etwas mitgestalten kann. Auch das Unternehmen ist sehr zufrieden. Durch Richards Erfahrung können viele Fehler direkt vermieden werden. Man muss nicht erst zig Mal etwas ausprobieren. Diese Effizienz wird sehr geschätzt. Und was wir auch oft gespiegelt bekommen und selbst erfahren haben ist, dass durch ältere Menschen mehr Ruhe, Gelassenheit, Konzentration und Fokus ins Team kommen.

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